Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld - unter Mitarbeit von Matthias Ballod, Jan Engberg, Katja Lochtman, Günter Schmale, Veronica Smith. Saarbrücken: htw saar 2016. ISBN 978-3-942949-11-8

Zum Umgang mit Fremdbildern und Stereotypen im universitären Unterricht Deutsch als Fremdsprache


Natia Ansiani (Tbilissi, Georgien)


Abstract (English)

Nowadays intercultural education and competence are being regarded as inter­disciplinary aspects of foreign language teaching and learning. One of the main objectives of intercultural competence is the capability of managing foreign images and stereotypes. Foreign language teaching can serve to make as well as break such images and stereotypes. In consequence, it needs to be discussed what kinds of know­ledge of stereotypes are essential for students and how they can be acquired. In the following, an overview of recent research activities regarding stereotypes in teaching German as a foreign language will be given, with samples taken from classroom obser­vations during an intensive course taught at Saarland University (Germany). Metho­dological differences between this course, in which intercultural groups were taught, and a course of German as a foreign language taught in Georgia with a single-source language and culture of origin will be presented.

Keywords: Intercultural education, intercultural competence, stereotyping in the process of learning German as a foreign language


Abstract (Deutsch)

Interkulturelle Bildung und Erziehung gelten heutzutage als fächerübergreifende Lern­ziele. Vor diesem Hintergrund ist der kompetente Umgang mit Fremdbildern und Stereotypen ein Teilziel des modernen Fremdsprachenunterrichts. Er bietet das ideale Umfeld, in dem stereotype Vorstellungen sowohl gebildet als auch abgebaut werden können. Dabei ist zu fragen, welche Kenntnisse über die Kategorie des Stereotyps in der interkulturellen Kommunikation für den Lerner nützlich sind und wie diese Kenn­tnisse erworben werden können. Im folgenden Beitrag soll ein Überblick über die neuere For­schung zum Umgang mit Stereotypen im Unterricht Deutsch als Fremd­sprache (DaF) gegeben werden. Anhand von Beispielen aus der Unterrichtsbeob­achtung von DaF-Intensivkursen an der Universität des Saarlandes werden didaktisch-methodische Differen­zen zwischen dem DaF-Unterricht in Deutschland – in kulturell heterogenen Gruppen – und demjenigen in Georgien – mit einer einzigen Ausgangs­sprache bzw. Ausgangskultur – dargestellt.

Stichwörter: Interkulturelles Lernen, interkulturelle Kompetenz, Stereotypisierungen im DaF-Unterricht


1    Interkulturelles Lernen im modernen universitären 

    DaF-Unterricht in Georgien

Seit etwa zwei Jahrzehnten werden interkulturelle Bildung und Erziehung als fächerübergreifende Lernziele auch in Georgien anerkannt. Im universitären Unterricht Deutsch als Fremdsprache (DaF) in Georgien werden moderne, mit dem Lernziel Interkulturelles Lernen, interkulturelle Kommunikation konzipierte Lehrwerke eingesetzt. Ziel des universitären DaF-Unterrichts ist es dabei, den Studierenden den Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen zu ermöglichen und sie entsprechend – messbar anhand der höheren Niveaustufen des Gemein­samen europäischen Referenzrahmens (GeR) – auf ein Studium an deutschen Universitäten vorbereiten.

Es wird bisweilen darüber diskutiert, dass die Studierenden aufgrund einer unzureichenden Kompetenzschulung in interkulturellen Begegnungssituationen nicht selten auf Missverständnisse stoßen. Nicht zu Unrecht schreiben Bolten und ebenso Apeltauer:
Viele interkulturelle Missverständnisse und Probleme resultieren daraus, dass man sich der Kulturgebundenheit der eigenen und der Wahrnehmung seines fremdkul­tu­rellen Partners nicht hinreichend bewusst ist: Es werden Dinge und Sachverhalte als unhinterfragt „normal“ angesehen, die für die Wahrnehmungsgewohnheit des anderen keineswegs plausibel sind. (Bolten 2007: 29)

Wer sich mit der Verständigung über sprachliche oder kulturelle Grenzen hinweg beschäftigt, der stößt immer wieder auf Probleme, die sich dadurch ergeben, dass Interaktionspartner die Intentionstiefe von Aussagen nicht vollständig erschließen können. Teilverstehen ist aber häufig die Ursache für Missverstehen, insbeson­dere dann, wenn es unerkannt bleibt und zur Grundlage von falschen Erwartungen oder Vermutungen wird. Solche verdeckten Voraussetzungen können zu Auslö­sern von Kommunikationskonflikten werden. Zu ihnen gehören Sichtweisen und Einstellun­gen ebenso wie Erwartungen. (Apeltauer 2001: 3)
Unter Kompetenzen verstehen die Autoren des GeR dabei Folgendes:
Kompetenzen sind die Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fertigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen, die es einem Men­schen erlauben, Handlungen auszuführen. (Europarat 2001: 21)
Ein wichtiger Aspekt im interkulturellen Lernprozess ist die Einstellung der Stu­dierenden gegenüber der Zielsprache und der Zielkultur. Dieser Aspekt kann nach dem GeR den persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen zugeordnet wer­den:
Unter persönlichkeitsbezogener Kompetenz (savoir-être) wird die Summe der individuellen Eigenschaften, der Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen ver­stan­den, wie zum Beispiel das Selbstbild und die Sicht anderer Menschen, die Bereitschaft, sich auf soziale Interaktion mit anderen einzulassen. (Europarat 2001: 23)
Der offenkundige Mangel an analytischen Studien über stereotypische Einstel­lungen macht es den Studierenden dabei nicht gerade leichter, sich ange­messen auf Begegnungen mit Angehörigen der Zielkultur vorzubereiten und die fremdkulturelle Realität als solche zu erfassenX 
 

Fremdbilder und Stereotype sind ein wichtiger Bestandteil der interkulturellen Kompetenzschulung im Fremdsprachenunterricht, denn interkulturelle Hand­lungskompe­tenz beinhaltet die Kenntnis von Stereotypen, ihre kulturellen und sozialen Bewertungen, das soziokulturelle Umgehen, gewissermaßen das Handlungsvermögen. (Löschmann 2001: 174f) 
 

Es ergeben sich in diesem Zusammenhang folgende Fragen:

  • Wie wird handlungsorientiertes, interkulturelles Lernen im universi­tären DaF-Unterricht in Georgien umgesetzt?
  • Welche Aspekte interkulturellen Lernens werden im Lernprozess be­rücksichtigt?
  • Werden soziokulturelle bzw. landeskundliche Themen einschließlich der Stereotype behandelt?

Ein weiterer Aspekt des interkulturellen Lernens stellt entsprechend die Qualität der Ausbildung der Lehrperson dar. Einstellung und Bildung der Lehrperson haben einen entscheidenden Einfluss auf den Fremdsprachenunterricht und die Bildung und / oder die Änderung stereotyper Fremdbilder. 
 

Demzufolge lassen sich die ausschlaggebenden Faktoren, die den gesamten Lernprozess beeinflussen können, in den folgenden Fragen zusammenfassen:

  • Ist die Lehrperson selbst interkulturell kompetent?
  • Ist sie schon im Zielland gewesen? Wenn ja, wie lange?

Es gibt kaum wissenschaftliche Studien, die den Prozess des interkulturellen Lernens im universitären DaF-Unterricht in Georgien dokumentieren. Erkennt­nisse, die nennenswerte Schlussfolgerungen zuließen, liegen bisher nicht vor (Loladse 2011 und Akhalkatsi 2009).

2 Fremdbilder und Stereotype im DaF-Unterricht

2.1 Forschungsstand


Die Betrachtung von Fremdbildern, Stereotypen und interkulturellen Vorurteilen ist heutzutage allenthalben zum Unterrichtsgegenstand geworden. Die ersten Erkenntnisse zum Thema Stereotyp im Sinne einer fremd­sprachen­didaktischen Kategorie wurden Anfang der 1970er Jahre gewonnen. In den meisten Studien wurden Eigenschaftslisten zur Stereotypenforschung entwickelt (Pieklarz 2008). Die Schüler sollten aus einer Liste von Eigenschaften ihrer Meinung nach auf die Fremdkultur zutreffende Eigenschaften ankreuzen. Ziel war die Darstellung nationaler Stereotypen. Der Nachteil dieses Verfahrens war, dass die vor­gegebe­nen Antworten interpretationsbedürftig waren.


Eine Studie von Keller aus dem Jahre 1970 hatte zum Ziel, die Lerner durch die Beschäftigung mit Auto- und Heterostereotypen der beteiligten Gruppen hin­sichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu sensibilisieren (Pieklarz 2008).


Seit den 1990er Jahren entstanden zahlreiche empirische Befunde – mit dem Ziel, den Stellenwert von Stereotypen im Fremdsprachenlernprozess herauszu­stellen. Viele Übungen wurden zur Wahrnehmungsschulung und zur Sensibi­lisierung der Lernenden für Stereotype entwickelt (z. B. Apeltauer 1983, 1998, 2002, Löschmann 1998).


Im Rahmen der neuesten Ansätze wird eine polymethodische Vorgehensweise verfolgt, und mithin werden unterschiedliche Methoden zur Erforschung der Stereotypen verwendet: Durch die Verwendung beispielsweise von Frage­bögen, Interviews, Merkmallisten sollen die Validität der Ergebnisse gesichert und die kollektiven Vorstellungen rekonstruiert werden können. (Pieklarz 2008).


Pieklarz führte im Jahre 2007 im Rahmen des Projekts Stereotype und Affek­tivität im interkulturellen Fremdsprachenunterricht eine empirische Unter­suchung zur Erfassung der Korrelation zwischen Stereotypen und affektiven Prozessen im fremdsprachlichen Lernprozess durch. Ziel war es herauszu­finden, über welche stereotypen Vorstellungen die Studierenden im Hinblick auf die Fremdsprache und das Zielland verfügten. Grundsätzliche Annahme war, dass sowohl affektive und emotionale Faktoren (Einstellung, Interesse und Motivation), als auch soziale Faktoren (Erfahrungen innerhalb und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts, Lehrperson, Unterrichtsgestaltung, Begegnung mit Sprechern der Zielkultur und des Ziellandes) in enger Korrelation zur Ste­reotypisierung stehen und dass der Fremdsprachenunterricht die Bildung von Stereotypen beeinflusst.


Ziel einer empirischen Studie von Ziegler (2004) zu Stereotypisierungsprozes­sen im Fremdsprachenunterricht war es, herauszufinden, welche Wissens­strukturen den Stereotypisierungen zugrundelagen und welche Funktionen Stereotypisierun­gen während einer Interaktion im Fremdsprachen­unterricht hatten. Die Untersuchung folgte dem Mehr-Methoden-Einsatz, der Triangula­tion: Primärdaten (Unterrichtskommunikation) wurden durch ein gesprächsana­lytisches Verfahren analysiert und durch Sekundärdaten (fokussierte retro­spektive Interviews) ergänzt (Ziegler 2004: 198f).


Schmidt legte im Jahre 2014 eine empirische Forschung zum Deutschlandbild französischer Jugendlicher vor, die sowohl qualitativ als auch quantitativ ausge­richtet war. Ziel der Studie war es, stereotype Vorstellungen französischer Ju­gendlicher gegenüber Deutschland und den Deutschen aufzudecken. Die Fragebögen enthielten sowohl geschlossene Fragen als auch skalierte Daten. Untersucht wurde auch die Frage, welche Einflussfaktoren bei der Änderung bzw. Bildung stereotyper Vorstellungen eine Rolle spielen (z. B. geographische Entfernung, Alter, Aufenthalte im Zielland) und welche Unterschiede es bei dem Stereotypisierungsprozess zwischen den Geschlechtern gab.

2.2 Selbst- und Fremdbildreflexion im Fremdsprachenunterricht als Teilziel der interkulturellen Kompetenz


Interkulturelle Kompetenz, die als fächerübergreifendes Lernziel und Schlüs­selkom­petenz in der interkulturellen Kommunikation gesehen wird, war und ist ein umstrittener Begriff Man spricht über ihre Dimensionen und verweist dabei auf ihren komplexen Charakter:
Interkulturelle Kompetenz stellt keinen eigenständigen Kompetenzbereich dar, sondern ist im Sinne von lat. competere („zusammenbringen“) am besten als Fähigkeit zu verstehen, individuelle, soziale, fachliche und strategische Teilkompe­tenzen in ihrer bestmöglichen Verknüpfung auf interkulturelle Handlungskontexte beziehen zu können. Interkulturelle Kompetenz ist dementsprechend keine Schlüs­selqualifikation, sondern eine Querschnittsaufgabe, deren Gelingen das Zusam­menspiel verschiedener Schlüsselqualifikationen voraussetzt. (Bolten 2007: 112f)
Bereits ab frühstem Kindesalter unterliegt der Mensch der Notwendigkeit, mit den Mitgliedern seines Umfeldes erfolgreich zu kommunizieren; geschieht dies mit Erfolg, entwickelt er sich letztendlich zum Individuum, das sich – durch die Gemeinsamkeiten, die es mit seinem sozialen Umfeld teilt – mit eigenen Gesichtszügen, seinem Charakter und seiner Kultur als zivilisierter und inte­grierter Mensch etabliert hat. Dies wird als eine allgemeine Handlungskompe­tenz bezeichnet. Interkulturelle Kompetenz wird daher zur Transferfähigkeit allgemeiner Handlungskompetenz im interkulturellen Kontext (Rathje 2006: 8ff). Interkulturelle Kompetenz kann vor diesem Hintergrund als eine Erwei­terung des kulturell geprägten Wahrnehmungshorizonts definiert werden.

Bolten definiert Wahrnehmungsprozesse vornehmlich als selektiv: Der Mensch erlernt während seiner Sozialisation explizite Erklärungen in Bezug auf Wahr­nehmbares; diese werden als Wissen gespeichert: Man spricht von kollektivem Gedächtnis. Die Selektion von Wahrnehmungen und deren Über­führung in Wissensvorräte werden in der Regel durch die Kontexte, in denen der Mensch sozialisiert wird, gesteuert. Wahrnehmung ist in diesem Sinne kulturspezifisch (Bolten 2007: 33f). Das kollektive Gedächtnis wird als Inter­pretationsvorrat verstanden, in dem unsere Wahrnehmung sowie unser Denken und Handeln als kulturgebunden bezeichnet werden (Bolten 2007: 38f).


Wahrnehmung wird hingegen als subjektiv bezeichnet: Das Gehirn arbeitet nicht mit expliziten Erklärungen, sondern mit konstruiertem Sinn. Auf der Basis des Bekannten, also auf dem Vorratswissen beruhend, werden Analogien gebildet. Existieren zu den Eindrücken, die in einer fremdkulturellen Umgebung gewonnen werden, keine Entsprechungen im Wissensvorrat, besteht die Gefahr, diese durch Stereotypen und Vorurteile zu ersetzen (Bolten 2007: 33f).

Folglich zählt der angemessene Umgang mit Fremdbildern und Stereotypen im Fremdsprachenunterricht zu den wichtigsten Aspekten der interkulturellen Kom­petenzschulung. Nach der kulturanthropologischen Perspektivierung werden Fremdbilder und Stereotype folgenderweise definiert.
Fremdbilder (Images) – Wahrnehmungsformen des Anderen ­– bilden einen zentra­len Bestandteil interkultureller Kommunikation. Fremdbilder sind untrennbar verknüpft mit Identitätsbildern (Lüsebrink 2008: 85).
Stereotype – fossilierte Images, Bilder bzw. Vorstellungen von etwas Fremdem verfestigen sich, fossilieren zu Stereotypen (Bolten 2007: 55f). 
 

Stereotype Einstellungen können in der interkulturellen Kommunikation zu Irri­tationen führen. Die Bewusstmachung von Autostereotypen (Selbstbild) und Heterostereotypen (Fremdbild) hilft Lernenden, sie bewusst anzuwenden, d.h. sie produktiv zu nutzen:
Wir können das Fremde nicht kennen und verstehen lernen wollen, wenn wir das Eigene nicht reflektieren – vor allem die Beziehung zwischen Eigenem und Fremdem. Aus diesem Grunde sollten Maßnahmen zur interkulturellen Kompe­tenzentwicklung auch immer eine Förderung des Selbstverständnisses, des Wissens um Zusammenhänge der eigenen Kultur, einbeziehen. (Bolten 2007: 59f)

3 Darstellung des Forschungsprojektes

3.1 Die Untersuchungen an der Universität des  

      Saarlandes

Die Universität des Saarlandes zeichnet sich durch eine große Zahl internatio­naler Studierender aus; daher sind Mehrsprachigkeit und interkul­turelle Kom­munikation ein Schwerpunkt an vielen Lehrstühlen. Dies gilt auch für den Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache / Zweitsprache (DaF / DaZ), an dem das Forschungsprojekt, das im Folgenden vorgestellt wird, begonnen wurde. Das Projekt entstand im Rahmen des Promotionsstudiums der Autorin und ist noch nicht abgeschlossen. Daher wird über dessen bisherige Zwischenergeb­nisse berichtet.


Gegenstand der Untersuchung ist die Beobachtung und Dokumentation des Unterrichtsprozesses in verschiedenen DaF-Kursen am International Office und am Studienkolleg der Universität des Saarlandes. Im Rahmen dessen werden ebenso Interviews mit georgischen Studierenden an deutschen Universitäten geführt, um deren Einstellungen, Erwartungen und Erfahrungen zu dokumen­tieren, die Rückschlüsse auf mögliche Stereotypen seitens georgischer Studie­render gegenüber Deutschland und den Deutschen zulassen.

Das Hauptziel der Hospitationen der Autorin in den oben genannten DaF-Kursen besteht darin, in kulturell heterogenen Gruppen (im Gegensatz zu Georgien, wo im Allgemeinen homogene Gruppen unterrichtet werden) echte interkulturelle Lernsituationen zu beobachten, um im Umkehrschluss aus diesen Beobachtungen Antworten auf folgende Fragen zu finden:

  • Welche interkulturellen Themen sind unterrichtsrelevant?
  • Werden Stereotypen und Fremdbilder thematisiert?
  • Wie werden die Themen methodisch aufgearbeitet und dargestellt?
  • Welche Stereotypen weisen internationale Studierende im Lernpro­zess auf?
  • Welche Kenntnisse über die Kategorie des Stereotyps sind nützlich für die interkulturelle Kommunikation und wie werden sie erworben?
  • Wie ist die Position der Lehrerperson im Unterricht hinsichtlich ihrer Einflussnahme auf die Studierenden?
  • Ändert sich die Einstellung der Studierenden zum Zielland und zur Zielkultur?
  • Welche Unterschiede gibt es zwischen interkulturellem DaF-Unter­richt in Deutschland und in Georgien?

Insgesamt wurden bislang 24 Unterrichtseinheiten (zu jeweils 90 Minuten) beobachtet, exemplarische Teile gefilmt und nach GAT 21 transkribiert.

Georgische Studierende wurden in qualitativ ausgerichteten, offenen Interviews befragt: Die Gestaltung des jeweiligen Interviews war vom Gesprächsverlauf abhängig, d.h. von den Schwerpunkten, die die Probanden selbst setzten. Die Probanden sprachen zuerst über ihre Erwartungen vor der ersten Reise nach Deutschland und danach über ihre dort gesammelten Eindrücke und Erfahrun­gen. Mit diesem Verfahren sollte die Vorgabe von Stereotypen möglichst ver­mieden werden. Der Verlauf und die Dauer der Interviews waren aus diesem Grund unterschiedlich: In der Regel dauerten sie zwischen 30 und 60 Minuten. Die Interviews wurden aufgezeichnet und exemplarisch transkribiert.


3.2    Exemplarische Beispiele aus eigenen Beobachtungen in DaF-Kursen an der Universität des Saarlandes

3.2.1 Internationale Sommersprachkurse

Intensivsprachkurse des International Office richten sich an internationale Stu­dierende, Studienbewerber und Absolventen von Hochschulen. In Sprach­kursen werden neben Sprachkenntnissen auch Projektunterricht zur Kultur und zu landeskundlichen Themen angeboten. Als Beispiel wird an dieser Stelle ein Projekt mit dem Namen „Stereotype, Vorurteile, Klischees“ angeführt, das im Sommer 2015 stattfand.
Methodisch lässt sich die Vorgehensweise des Projekts in vier Phasen ein­teilen:
  1. Phase: Input – Informationen zur Landeskunde
  2. Phase: Aufdeckung von Auto- und Heterostereotypen
  3. Phase: Überprüfung von eigenen Einstellungen durch Befragung und Recherche
  4. Phase: Darstellung und Analyse von eigenen Ergebnissen
In der ersten Phase wurden die Teilnehmer mit verschiedenen landeskund­lichen Themen konfrontiert. 
 
In der zweiten Phase deckte der Dozent Vorurteile und stereotypische Vorstel­lungen der Teilnehmer gegenüber Deutschen und Deutschland auf. Das Ge­spräch wurde so moderiert, dass die Teilnehmer auch ihr eigenes Selbstbild einbeziehen, ihr Land also mit Deutschland vergleichen sollten. 
 
Das folgende Beispiel ist ein Auszug aus einem Unterrichtsgespräch über Deut­sche. Das Gespräch wurde von zwei Georgierinnen und einem Holländer ge­führt. Es verdeutlicht, wie Deutsche aus verschiedenen Perspektiven unter­schiedlich wahrgenommen werden:
0012 Dozent: Was würden Sie sagen, was ist davon typisch Deutsch?3

002 Studierende 1: Streng. ((viele lachen))4

003 Dozent: Also, wir sind alle typisch streng.

004 Studierende 2: Äm (-) hilfsbereit, verantwortlich.

005 Dozent: Äm (.) Als bisschen streng, aber hilfsbereit.

006 Georgierin I: Höflich auch.

007 Dozent: Höflich?

008 Georgierin I: Ja, stimmt.

009 Dozent: Sagen wir immer „bitte“, „danke“?

010 Georgierin I: Ja, ja <<lachend>>

011 Holländer: Deutsche sind nicht höflich. ((Viele lachen laut))

012 Dozent: Warum werden Sie in Holland sagen, dass Deutsche nicht höflich sind und warum werden Sie in Georgien sagen, dass Deutsche in Georgien als höflich wahrgenommen werden?

013 Georgierin I: Äm (-) zuerst es ist sehr angenehm (.) also wie ein Regel siezen und (.) so, siezen und nicht duzen und äm(--) an (.) wenn man etwas sagt, beginnt man mit „bitte“ oder sagt man zu Ende, oder Entschuldigung und im Geschäften auch „hallo“, „tschüß“, „hallo“, „tschüß“.

014 Dozent: Also Sie würden sagen, die Höflichkeit drückt sich vor allem auch in der Sprache aus.

015 Georgierin II: Ja. <<nickend>>

016 Dozent: Wie wir sprechen, welchen Verhaltenskodex wir dann haben, siezen, duzen, dann „bitte“, „danke“, also, Sie würden sagen, sprachlich drücken wir ein sehr höfliches Bild, oder drücken wir diese Höflichkeit aus.

017 Georgierin I: <<nickend>> Ja, und tagsüber lächeln auch ((zeigt mit den Fingern auf ihren Mund „Lächeln“)) Und warum ist für dich (.) für dich nicht höflich? ((Sie wendet sich mit der Frage an den holländischen Studieren­den)).

018 Georgierin II: Was machen Deutsche in Holland?

019 Holländer: Äm: Sie sind (.) sie sagen Hallo und etwas, aber äm (.) zum Beispiel in Niederlanden, in Restaurant kann man (.) gleich sehen, dass es Deutsche sind. Sie sind sehr ( ) Sie denken, dass alles um sie geht, und zum Beispiel, das sind da, der Ober, wie heißt das, der Kellner?

020 Dozent: Der Ober? Genau.

021 Holländer: Der Ober nicht gleich zu ihnen kommt, und sitzen sie hallo, hallo, hallo: ((winkt mit der Hand)) den ganzen Tag (.) <<laut lachend>> sie sind ((Unterbrechung))

022 Dozent: Was war das erste Adjektiv? Das war auch interessant, Sie haben gesagt, in Deutschland heißt das?

023 Holländer: Oh! ( ) ((sagt ein Adjektiv auf Niederländisch))

024 Dozent: Okay. Das bedeutet?

025 Holländer: Dass sie nicht sehr lange warten können. [ung (.) ung (.)]

026 Georgierin I: [Ungeduldig]

027 Dozent: Okay, ungeduldig.

028 Holländer: Ja, sie sind (.) sie sind (.)

029 Dozent: Ich-zentriert, haben Sie gesagt, genau, wir möchten im Mittelpunkt stehen, oder?

030 Holländer: Ja.

031 Georgierin II: Dann hast du Georgien nicht gesehen. ((Alle lachen laut))

032 Holländer: Deshalb sind (.) in Niederlanden sind (.) sagen wir, das sie ein bisschen unhöflich sind.

033 Studierende 3: Ja, nicht alle sind höflich, nicht alle sind multikulturell, ich meine, das sind sowieso Stereotype, oder?
Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Definition des Anderen immer im Ver­hältnis zu sich selbst folgt und umgekehrt:
Fest steht, dass ein Selbstverständnis nicht möglich wäre, wenn es nicht den „Anderen“, „Fremden“ gäbe, mit dem ich mich vergleichen könnte. Umgekehrt ist auch mein Verständnis des Fremden in erster Linie davon abhängig, wie ich mich selbst in dieser Beziehung sehe. (Bolten 2007: 52)
In der dritten Phase wurden insgesamt fünf Arbeitsgruppen nach Themen­schwerpunkten gebildet. Diese entsprachen den im Unterricht am häufigsten genannten Stereotypen und stellten sich dar wie folgt:

  • Deutsche sind unromantisch;
  • Deutsches Essen ist schlecht;
  • Deutsche sind ordnungsliebend;
  • Der Bierkonsum ist in Deutschland hoch;
  • Deutschland glaubt, es sei der Chef der EU;
  • Deutsche streben nach Nachhaltigkeit;
  • Deutsche sind titelverliebt;
  • Deutsche legen großen Wert auf Höflichkeitsformen wie beispiels­weise das Siezen;
  • Deutsche leben in Fachwerkhäusern;
  • Deutsche sind in ihrer Ausdrucksweise sehr direkt.

Jede Gruppe nahm sich bestimmter Themenschwerpunkte an, wobei die Auf­gabe darin bestand, Informationen zu den Themen aus glaubwürdigen Quellen zusammenzustellen und sie durch eine kleine Befragung zu ergänzen, die die Teilnehmer beispielsweise auf der Straße, auf dem Campus oder an einem beliebigen Ort in Saarbrücken durchführen sollten. Auf dieser Basis sollte eine kleine statistische Untersuchung durchgeführt und abschließend als Ergebnis präsentiert werden.

In der vierten Phase wurden die Ergebnisse dargestellt. Die Studierenden wur­den dazu aufgefordert, in der Präsentation ihre eigenen Einstellungen zu analysieren und zwischen den bestätigten und nicht bestätigten Stereotypen zu differenzieren.


Dabei standen weder die Widerspiegelung der Realität, noch die Ersetzung ne­gativer Stereotypen durch positive Eindrücke und Erfahrungen im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr erlaubten es sowohl das didaktische Material als auch die gewählte Methode den Teilnehmern, sich mit dem Thema Stereotype aus­einanderzusetzen. Von größter Bedeutung war dabei, die Teilnehmer dazu an­geregt zu haben, ihr Selbstbild zu überdenken und ihre eigene Einstellung gegenüber der Zielkultur und der Zielsprache zu überprüfen, um letztlich zu verstehen, welche Funktionen Stereotype, Klischees und Vorurteile in der Ge­sellschaft haben.

3.2.2 Semesterbegleitende Deutschkurse


Semesterbegleitende Deutschkurse werden an der Universität des Saarlandes für ausländische Studierende aller Fakultäten angeboten. Während der Hospi­tationen im Unterricht ließ sich beobachten, dass auch ohne das Unter­richts­thema Stereotype entsprechende Einstellungen zum Tragen kamen. Auffallend war, dass Studierende oft dazu neigten, verschiedene Sachverhalte aus eig­ener Sicht zu betrachten und aus eigener Perspektive zu urteilen.


Exemplarisch sei dafür das im Unterricht behandelte Thema des Siezens und Duzens in Deutschland genannt. Eine Studentin äußerte dabei ihre Beob­achtung, in Deutschland ständig von allen Menschen geduzt zu werden. Sie drückte ihr Erstaunen darüber aus, warum von ihr erwartet wurde, ihre Mit­menschen zu siezen. Im weiteren Verlauf des Gespräches stellte sich heraus, dass es dabei um einige wenige Fälle ging, in denen die Teilnehmerin von einem Hausmeister geduzt worden war. Die Beurteilung und Generali­sierung folgten entsprechend anhand konkreter Erfahrungen.

3.2.3 Studienvorbereitende Deutschkurse


Das Studienkolleg der Universität des Saarlandes bietet Vorbereitungskurse an, die zur Deutschprüfung für den Hochschulzugang (DSH) führen. Im Rahmen der Konzeption dieser Vorbereitungskurse werden die Unterrichtseinheiten sowohl durch landeskundliche Themen als auch durch Projekte ergänzt. 
 

Das Projekt Stadtrally Saarbrücken stellte eine kommunikative Stadterkundung dar und umfasste neben kommunikativen Aufgaben und Sprachspielen auch Sport- und Aktionsaufgaben im Stadtzentrum der Landeshauptstadt.

In der ersten Phase des Projekts waren die Teilnehmer gehalten, verschiedene Wissensfragen und Rätsel zu lösen. So sollten sie verschiedene kommunikative Aufgaben erfüllen, wie z. B. Passanten um Rat zu fragen, auf Menschen zu­zugehen und mit ihnen zu reden sowie innerhalb und außerhalb des Teams zu kommunizieren. 
 

In der zweiten Phase erfolgten die Auswertung der Ergebnisse und die Selbst­reflexion der Teilnehmer.

Das folgende Beispiel aus den Aussagen der Teilnehmer verdeutlicht, wie sich die Einstellung gegenüber dem Zielland und die Zielkultur positiv ändern kann:


Dozent: Hat sich Ihr Gefühl zu Saarbrücken nach der Stadtrally geändert?

Student: Ich möchte dazu etwas sagen: Ich habe meine Meinung über Deutsche wirklich geändert. Als ich nach Deutschland zum ersten Mal angekommn bin, dachte ich, dass Leute genauso sind wie in meinem Heimatland. Die Leute waren anders, ich hatte das Gefühl, dass sie ein bisschen kalt wa­ren. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht gesellig sind, man sollte sie einfach verstehen lernen, sie ansprechen, sich mit ihnen unterhalten. Deutsche mögen gerne sprechen, andere Kulturen kennen lernen und sie respektieren alle Menschen aus verschiedenen Kulturenkreisen. Man soll also dieses Eis einfach ... abbauen.

Dozent: Brechen.

Student: Oder brechen, ja.

Dozent: Brechen, brechen. Ja, man soll das Eis brechen, so nennt man das.

Mit seiner Aussage reflektiert der Student seine Einstellung dahingehend, dass sich seine vorherigen Ansichten gegenüber Deutschland und den Deutschen geändert haben. Im Deutschunterricht erhält er die Gelegenheit, die Ausgangs- und Zielkulturen miteinander zu vergleichen, indem er gegenüber seinen ersten Einstellungen eine kritische Position einnimmt. Es scheint auch, dass der Stu­dent besonderen Wert legt auf Kommunikation und Kontakte mit Angehörigen des Kulturraumes, wobei er die Andersartigkeit als solche annimmt.

Bemerkenswert ist die Aufgeschlossenheit der Teilnehmer, die Offenheit gegen­über allen Gesprächsthemen zeigten und sowohl über ihre positiven als auch über ihre negativen Einstellungen berichteten.

Die gewählten Methoden und Materialien erlaubten es den Studierenden, sich mit Unterschieden konstruktiv auseinanderzusetzen: Sie lernten eine fremde Sprach- und Kulturwelt kennen, respektierten Unterschiede und suchten nach den Gemeinsamkeiten.



3.3 Interviews mit georgischen Studierenden an deutschen Universitäten


Durch offene, wenig strukturierte, qualitativ ausgerichtete Interviews wurden 15 georgische Studierende an deutschen Universitäten (Universität des Saarlan­des, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes) befragt. 
 

Das Interview wurde nach den folgenden Schwerpunkten gesteuert:

  • Erwartungen georgischer Studierender vor dem ersten Aufenthalt in Deutschland
  • Bestätigung bzw. Nicht-Bestätigung ihrer Erwartungen
  • Bemerkenswerte Erfahrungen, Ereignisse
  • Schwierigkeiten während des Auslandsaufenthaltes
  • Erkennbarkeit spezifischer Stereotype oder Images von den Deut­schen bzw. von Deutschland bei georgischen Studierenden
  • Einbeziehung des Selbstbildes der Studierenden

Aufgegriffen wurden auch Themen, die von den Befragten selbst kamen. Es ließ sich beobachten, dass georgische Studierende zahlreiche Aspekte der deutschen Kultur von „sehr positiv“ bis eher „neutral“ beurteilten. Es gab auch negative Sichtweisen des Ziellandes, die eher aus konkreten Erfahrungen als aus vorgefertigten Stereotypen resultierten.

Die Interviews vermitteln einen ersten Einblick in die Auslandserfahrungen georgischer Studierender und decken stereotype Einstellungen und Vorurteile auf. Es besteht allerdings Bedarf an weitergehenden Auswertungen der Inter­views, bevor die Ergebnisse für detaillierte Schlussfolgerungen genutzt werden können.

4 Didaktisch-methodische Unterschiede zwischen dem DaF-Unterricht in Deutschland und in Georgien


Georgien zeichnet sich durch ethnische Vielfalt aus. Es gibt mehrere ethnische Gruppen, die seit Jahrhunderten nebeneinander existieren. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes (Stand: 28.04.2014) sind 86,8 % der Einwohner Georgier, 6,3 % sind Aserbaidschaner, 4,5 % Armenier, 0,7 % Russen und 0,4 % Osseten. Das restliche Prozent bilden weitere Volksgruppen, wie z. B. Jezi­den, Ukrainer, Kisten, Griechen oder Assyrer. 
 

Trotz der ethnischen Vielfalt Georgiens kommt es nicht selten vor, dass die Gruppen in DaF-Kursen recht homogen sind: An universitären DaF-Kursen nehmen oft keine internationalen Studierenden teil. Dies liegt nicht zuletzt da­ran, dass in Georgien das Englische die erste Fremdsprache ist.

Im Unterschied zu Georgien werden DaF-Kurse in Deutschland von internatio­nalen Studierenden belegt. Die Lernsituation ist folglich interkulturell. Die Stu­dierenden sind darüber hinaus auch außerhalb des Deutschunterrichts täglich mit der deutschen Sprache und Kultur konfrontiert. Es gibt zahlreiche Möglich­keiten für sie, das Land mit seinen Einwohnern vielfach zu erkunden, mit Angehörigen der Zielkultur zu kommunizieren und Kontakte zu knüpfen. Wie die in Abschnitt 3.2 genannten Beispiele zeigen, können Studierende dabei Er­fah­rungen im Alltag sammeln und ihre Vorstellungen und Vorurteile prüfen, sie ent­weder ändern oder abbauen.


Ein zentraler Aspekt des interkulturellen Lernprozesses ist die Lehrerausbild­ung. Die Lehrperson in Deutschland ist sowohl mit landeskundlichen als auch mit interkulturellen Themen vertraut. Sie zeigt Neutralität gegenüber Mei­nungsäußerungen, besonders wenn es um die Aufdeckung stereotyper Vorstel­lungen gegenüber Deutschen und Deutschland geht. In jeder Angelegenheit bewahrt sie Distanz zum Sachverhalt. Die Studierenden haben in dieser Situ­ation die Möglichkeit, sich mit verschiedenen Sichtweisen auseinanderzusetzen und über unterschiedliche Wahrnehmungen zu disku­tieren. Dabei stellt die Lehrperson Lösungsvorschläge sachlich und distanziert dar. Zudem werden mit modernen und vielfältigen didaktischen Materialien und Lehrmethoden die Selbstreflexion und das analytische Denken der Studierenden gefördert.


Im Vergleich dazu ist interkulturelles Lernen in Georgien meist wenig praxisbe­zogen. Ebenso besteht Bedarf, Lehrkräfte entsprechend interkulturell zu schu­len. Das Lehrpersonal verfügt meist nur über wenig Auslandserfahrung und ist daher kaum mit landeskundlichen Themen vertraut. In dieser mangelnden inter­kulturellen Schulung liegt im Umkehrschluss eine Quelle von Stereotypisie­rungen im DaF-Unterricht.



5 Schlussfolgerungen


Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Umsetzung interkulturellen Lernens im Fremdsprachenunterricht kulturell bedingt ist und dass für die georgische Realität bestimmte methodisch-didaktische Vorgehensweisen irrele­vant sein können. 

Wie hier anhand von Beispielen aus dem Unterrichtsgeschehen an der Univer­sität des Saarlandes dargestellt wurde, existiert im universitären DaF-Unterricht eine große Auswahl an Methoden zur Vermittlung interkultureller Kompetenzen. Im Unterschied zu klassischen sprachorientierten Kompetenz­bereichen – dem Lese- und Hörverstehen, dem Sprechen und dem Schreiben – lassen sich per­sönlichkeitsbezogene Kompetenzen kaum überprüfen. Es ist unmöglich
zu überprüfen, ob und in welchem Umfang die Lernenden tatsächlich am Ende eines bestimmten Zeitabschnittes über die angezielten Kompetenzen verfügen. (Ende 2013: 28)
Einige Aussagen aus den zitierten Unterrichtsbeispielen machen jedoch offen­sichtlich, dass auch die Ausbildung der persönlichkeitsbezogenen Kompeten­zen, wie z. B. die Einstellung der Studierenden, nachvollziehbar werden kön­nen, wobei die Studierenden ihre eigenen Einstellungen vor und nach den Unterrichtsreihen analysierten, die Änderungen feststellten und sich die Funk­tion der Fremdbilder und Stereotypen bewusstmachten. 

Im Gegensatz zum DaF-Unterricht in Deutschland verfügt die Lehrperson in Georgien häufig nicht über hinreichende interkulturelle Kompetenzen. Ein interkulturell ausgerichteter Unterricht beschränkt sich meist auf die Vermittlung deklarativen Wissens (z. B. Faktenwissen und Landeskunde). Es besteht je­doch ein Mangel an Lernsituationen, in denen die Lernenden die kulturelle Di­mension kommunikativer Handlungen in der Fremdsprache erfahren können (Ende 2013: 30). Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass die georgischen Studentinnen dazu neigten, das Zielland und die Zielkultur betreffende, unbe­kannte Sachverhalte aus ihrer eigenen Sichtweise heraus und aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen zu analysieren und zu beurteilen.


Im Falle Deutschlands haben die angeführten Beispiele gezeigt, dass die Lehr­person das Unterrichtsgeschehen lediglich moderiert. Sie distanziert sich von Aussagen, die ihr Land und ihre Kultur betreffen und oft auch sehr negativ sind. Im Falle Georgiens sind die Lehrperson und die Studierenden jedoch gleicher Herkunft, was bedeutet, dass beide Seiten über gemeinsame, kulturspezifische Wahrnehmungsmuster verfügen, was jedoch eine subjektive Einstellung zum Thema nicht ausschließt.


Abgesehen davon, dass zwischen den Ausgangs- und Zielkulturen Georgiens und Deutschlands eine große Entfernung besteht, was ihrerseits die Schaffung möglichst authentischer, kulturell geprägter Lernsituationen im universitären DaF-Unterricht erschwert, sollte für Georgien eine an die lokalen Kontexte an­gepasste Methodik und Didaktik entwickelt werden.

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1 Hierbei handelt es sich nicht um eine linguistische Gesprächsanalyse und daher werden nur einige Transkriptionszeichen aus GAT 2 verwendet.
2 Jede Aussage ist nummeriert. Die Nummerierung beginnt mit der Segmentnummer 001.

3 Die Aussagen sind authentisch und enthalten Fehler.


4 Es wurde ein Minimaltranskript nach GAT 2 verwendet. Erläuterungen:

          (.) Mikropause

          (-) eine Pause von 0.2-0.5 Sekunden

          (--) eine mittlere Pause von 0.5-0.8 Sek.

( ) unverständliche Passagen ohne weitere Angaben (geduldig) schwer verständ­liche Stellen (also / alo) vermuteter Wortlaut

: : : Ausdehnung, die Anzahl an Doppelpunkte variiert je nach Länge

[ ] Überlappungen (untereinander geschrieben)

<< >> interpretierende Kommentare z. B. Ich habe <<weinend>> das gar nicht so gemeint

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