Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld - unter Mitarbeit von Matthias Ballod, Jan Engberg, Katja Lochtman, Günter Schmale, Veronica Smith. Saarbrücken: htw saar 2016. ISBN 978-3-942949-11-8

Bericht über eine explorative Studie zum medien-

und medieneffektabhängigen Vokabellernen



Hans W. Giessen (Saarbrücken), Frank Kostrzewa (Karlsruhe),

Nicole Bachor (Karlsruhe)



Abstract (English)

A pilot study (Giessen 2011) led to rather unsatisfactory results with regards to media-based vocabulary learning. This article presents a second, bigger study, conducted at Karlsruhe University of Education (Germany), in which these results are re-checked. Three experimental groups were presented Hungarian vocabulary to be learnt, i.e. a foreign language entirely unknown to the subjects. The first group learnt a vocabulary list from a sheet of paper, the second one from the computer monitor, but without any animation, and the third one from an animated flash file. In the present article, the results of this study are reported and discussed.
Keywords: Computer-based learning, amygdala, hippocampus, vocabulary

Abstract (Deutsch)

Eine Pilotstudie zum mediengestützten Vokabellernen (Giessen 2011) hatte zu eher unbefriedigenden Resultaten geführt. Dies sollte in einer größer angelegten explora­tiven Studie, die an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe durchgeführt wurde, überprüft werden. Dazu wurden drei Probandengruppen Vokabellisten einer ihnen unbekannten Sprache (Ungarisch) vorgelegt: Die erste Gruppe bekam die Voka­belliste auf Papier, die zweite sah sie auf dem Computermonitor, aber ohne jegliche multi­mediale Anwendungen, und die dritte erhielt sie in animierter Form. Im vorliegenden Beitrag sollen die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert werden.
Stichwörter: Computer-gestütztes Lernen, Amygdala, Hippocampus, Vokabellernen


1 Einleitung

Die digitalen Medien bieten erhebliche Mehrwerte für Lehrende wie für Ler­nende. Beispielsweise erlauben sie multimediale Formen der Aufbereitung, die aufgrund der vielfältigen visuellen und akustischen Reize die Lust am Lernen erhöhen sollen. Vor diesem Hintergrund werden digitale Medien in verschiede­nen Kontexten oft und gern eingesetzt. 
 

Allerdings ist noch weitgehend unklar, ob beispielsweise die genannten multi­medialen Effekte aus lerndidaktischer Perspektive stets und uneingeschränkt sinnvoll sind. Die moderne Hirnforschung legt beispielsweise Wechselwirkun­gen nahe, die den Erfolg fördern oder beeinträchtigen können (Roth 2011). Diese Wechselwirkungen sind relativ komplex und hängen unter anderem vom Lerninhalt beziehungsweise vom jeweiligen spezifischen Medieneinsatz ab. In jedem Fall ist es förderlich, den Hippocampus, die Cortexrinde und die Insula zu aktivieren, da diese Hirnareale für Lernen, Kreativität und Memorisieren verant­wortlich sind und am Beginn erfolgreicher Lernprozesse stehen (Seifert 1983, Traub & Miles 1991, Andersen 2006). Dagegen beein­trächtigt die Aktivierung der Amygdala solche Prozesse, da sie im Kontext emotionaler Anspannung aktiviert wird (z. B. bei großer Freude, bei Sorgen, Furcht oder Angst) und zur Hormonausschüttung führt. Sie beeinflusst dadurch auch den Blutdruck. Auf diese Weise werden die für Flucht oder Kampf notwendigen physiologischen Voraussetzungen geschaffen, aber gerade deswegen reflektierende und krea­tive Prozesse tendenziell behindert. Die Amygdala beeinträchtigt dabei die Funk-tionen des Hippocampus, indem sie die mit dem Hippocampus assoziierten Prozesse überlagert und diese zum Stillstand bringt (Eleftheriou 1972, Aggleton 1992, 2000, 2002, Damasio 2003, Phelps 2006). 
 

Das Ziel der Aktivierung des Hippocampus würde dafür sprechen, die Möglich­keiten multimedialer Angebote zu nutzen, um eine spielerische, angenehme und mithin erfolgreiche Lernatmosphäre zu gestalten (Giessen 2009). Anderer­seits wird die Amygdala durch schnelle Bewegungen und vielfäl­tige Reize aktiviert (die evolutionsgeschichtlich möglicherweise Gefahren angedeutet hatten; z. B. Damasio 2003) – und genau dies könnte problematische Auswir­kungen haben. In der Folge ist fraglich, welche Konsequenzen multimediale Effekte im Kontext digitaler Medien haben, wenn die multimedialen Effekte bei­spielsweise mit Animationen gekoppelt sind. Gegebenenfalls könnten gerade solche, mit Bewegungen und vielfältigen Reizen arbeitenden Präsentations­formen durch die Aktivierung ,falscher‘, weil lernhinderlicher Hirnregionen zu einer schwächeren Lerneffektivität führen. Dagegen könnte die Vermeidung solcher und – im Gegenteil – die bewusste Stimulierung lernförderlicher Hirn­regionen eine verbesserte Lerneffektivität zur Folge haben.


Untersuchungen zu dieser Frage existieren noch wenige. Die Forschungsge­schichte wurde lange von Vermutungen geprägt, die Richard E. Clark 1983 in einem häufig zitierten Aufsatz formuliert und noch 1994 prägnant – als Titel eines weiteren Aufsatzes zum Thema – wiederholt hat: "Media will never influence learning" (Clark 1994). Entscheidend sei die didaktische Aufbereitung; über welchen Kanal sie erfolge, sei nicht relevant (Clark 1994). Erst Mitte der neunziger Jahre begann die Debatte, ob diese Auffassung korrekt sei (z. B. Kozma 1994, Reeves 1998, McCombs 2000, Nathan / Robinson 2001). Kozma widersprach ihm noch vorsichtig und vermutete, dass es ein Wechselspiel zwischen didaktischer Aufbereitung und medialem Kanal gebe, so dass er als Schlüsselfrage formulierte: "In what ways can we use the capabilities of media to influence learning for particular students, tasks, and situations?" (Kozma 1994: 18). In den Jahren dieses Disputs wurden neue Medien und mithin weite­re mediale Aufbereitungen immer verbreiteter. McCombs formulierte dann schon deutlicher, dass die Computertechnologie das Potential habe, "to support diverse needs and capacities within the student population and to allow students greater control over their learning" (McCombs 2000: 1). Inzwischen scheint die Auseinandersetzung entschieden. So konnte Workman beispiels­weise experimentell zeigen, dass die Art der medialen Vermittlung in der Tat Auswirkungen auf den Lernerfolg hat: Man lernt dieselben Inhalte sogar in der­selben Aufbereitung anders, wenn sie per Internet vermittelt werden, als wenn man sie auf einer CD-ROM bearbeitet (Workman 2004). 
 

Indirekt wurde natürlich bereits früher bestätigt, dass die Mehrzahl beispiels­weise der Sprachdidaktiker die Notwendigkeit sah, Lerninhalte zumindest me­dienadäquat aufzubereiten (Giessen 2004), und mithin eine Wechselwirkung zwischen Inhalt und Medium unterstellte. Aus diesem Grunde wurden beispiels­weise Zeitschriften zum Computer-Assisted Language Learning oder Lan­guage Learning and Technology initiiert; und es gab zunehmend Publika­tionen, die diesen Aspekt aufgriffen (z. B. Dudeney & Hockly 2007, Sharma & Barrett 2007, Thomas et al. 2012, Beatty 2013).


Aber auch hier standen zunächst die vielfältigen Vorteile – wie der unbegrenzte weltweite Zugang zu authentischen Sprachdokumenten, die Möglichkeit, zeit- und ortsunabhängig zu lernen, und Lerninhalte eben multimedial und mithin an­sprechend und attraktiv aufzubereiten, um nur die wichtigsten Aspekte zu nen­nen, die beispielsweise Chun & Plass 2000 zusammengefasst haben – und ihre Erprobung so sehr im Vordergrund, dass die Untersuchung der Probleme und Nachteile zurückgestellt wurde. Zwar waren Medieneffekte nun akzeptiert, aber sie wurden fast ausschließlich positiv gesehen und untersucht. Erst zu Beginn des neuen Jahrhunderts öffnete sich die Diskussion auch kritischen Fragen. 
 

In diesem Kontext gab es auch erste Untersuchungen über eine mögliche un­terschiedliche Lerneffektivität in Abhängigkeit davon, ob Lerninhalte traditionell über Papier vermittelt würden oder über einen Bildschirm (Brandl 2002, Stepp-Greany 2002, Wästlund et al. 2005, Ackerman & Lauterman 2012, Mueller & Oppenheimer 2014, Park et al. 2014). Hier dominierten dann die problema­tischen Effekte. Insbesondere wurde immer wieder festgestellt, dass die auf­wendige Erstellung multimedialer Angebote selten in einem angemes­senen Kosten-Nutzen-Verhältnis stand. Bestenfalls fanden sich keine Verbes­serungen der Lerneffizienz beim – in den genannten Studien untersuchten – Leseverste­hen; Mangen et al. meinten 2013 dann sogar bereits, aus ihrer experimentellen Studie das folgende Resultat ableiten zu können:
The main findings show that students who read texts in print scored significantly better on the reading comprehension test than students who read the texts digital­ly. (Mangen et al. 2013: 61)
Ähnliche Resultate ergaben sich in einer eigenen Pilotstudie zum Vokabellern­en (Giessen 2011). Die dort ermittelten Ergebnisse wurden in einer größer an­gelegten, an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe durchgeführten, explo­rativen Studie überprüft, die hier beschrieben wird.

2 Die Untersuchung


Zur Überprüfung der zentralen Fragestellung wurden drei Experimentalgruppen gebildet, von denen die erste mit den zu memorisierenden Vokabeln auf tradi­tionelle Art und Weise konfrontiert wurde (Vokabellisten in Papierform), die zweite Gruppe in Form einer statischen Vokabelliste am Computer, während der dritten Gruppe die zu memorierenden Vokabeln am bewegten Computer­bildschirm als Flash-Dokument präsentiert wurden. Die präsentierten deutschen und fremdsprachlichen – ungarischen – Vokabeln ersetzten sich dabei gegen­seitig in einem Auf- und Abblendprozess.


Da die zu erlernenden Vokabeln einer Sprache entstammen sollten, die sich der lateinischen Sprache bedient, den Probanden jedoch mutmaßlich unbekannt sein sollte, fiel die Wahl auf das Ungarische. Die zu erlernenden Vokabeln ent­stammten dem Wortfeld Tourismus. Innerhalb von 30 Minuten war eine Liste von zehn Vokabeln zu memorieren. Eine zweite Untersuchung erfolgte am darauffolgenden Tag, eine dritte eine Woche später.


Bezüglich der Anzahl der Teilnehmer an dem Experiment wurde entschieden, so viele Teilnehmer wie möglich – insgesamt möglichst über 100 Probanden – zu erreichen. Bei der Zuordnung der Probanden zu den jeweiligen Gruppen sollte auf die Homogenität der Gruppen bzw. zumindest auf eine vergleichbare Heterogenität Wert gelegt werden. Vor diesem Hintergrund sollten Faktoren wie Alter, soziodemographische Daten, Studienfach und Geschlecht Einfluss auf die Zuordnung der Probanden zu den jeweiligen Gruppen haben. 
 

In einer etwa 15-minütigen Einführungsphase wurden die Probanden über das Experiment vorab informiert. Das Ziel der Untersuchung bzw. die konkrete Fragestellung der Untersuchung wurden jedoch nicht bekanntgegeben, um negative Einflüsse auf den Untersuchungsverlauf und das Ergebnis zu vermei­den. 
 

Bei der Durchführung des Experiments war zu beachten, dass alle Probanden aller drei Gruppen dieselbe Zeitdauer – 30 Minuten – für das Memorieren der einzelnen Items erhielten. Eine erste Überprüfung der Memorierungsleistung fand direkt nach der Rezeption der Vokabeln durch die Probanden bzw. nach dem Ausschalten des Computers statt. Eine zweite Überprüfung erfolgte am nächsten Tag zu derselben Zeit und die dritte Untersuchung exakt eine Woche später. Für das Abfragen der memorisierten Vokabeln wurden maximal 15 Minuten kalkuliert. Wichtig war es, zu beachten, dass die Zeitabstände zwii­schen den Phasen des Lernens und des Abfragens in allen drei Gruppen identisch waren. Die Itempräsentation in der ursprünglichen Vokabelliste Deut­sch / Ungarisch hatte folgendes Bild:

Deutsch
Ungarisch

Deutsch
Ungarisch
auf Wieder­sehen
Búcsú

Guten Tag!
Jó napot kivánok
Bitte
Kérem

die Mahlzeit
az étkezés
Danke
Köszönöm

das Restaurant
az étterem
Entschuldigung
Bocsánat

Tschüss!
Viszlát
Ferien
Ünnep

die Übernachtung
az éjszaka
Tab. 1: Die präsentierten Vokabellisten (deutsch - ungarisch): Itempräsentation (ursprüngliche Liste)


2.1 Ergebnisse des ersten Untersuchungsdurchgangs: Gruppe Vokabellernen vom Blatt (Papierform)


Kurzfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


22
9,4
10,0
3,0
Mittelfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


9
9,4
10,0
7,0
Langfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


19
6,9
10,0
4,0
Leistungen in relativen Werten:
Kurzfristiges Behalten:
Mittelfristiges Behalten:
Langfristiges Behalten:


94,0 %
94,0 %
64,0 %

Tab. 2: Ergebnisse des ersten Untersuchungsdurchgangs – Gruppe

Vokabellernen vom Blatt (Papierform)

Die Leistungen der Probanden waren beim kurzfristigen und mittelfristigen Be­halten gleich hoch (Ø 9,4 Punkte bzw. 94 %). Der höchste Wert lag sowohl beim Test zum kurzfristigen als auch beim Test zum mittelfristigen Behalten bei 10 Punkten (volle Punktzahl).


Der niedrigste Wert lag beim Test zum kurzfristigen Behalten bei 3 Punkten, beim Test zum mittelfristigen Behalten bei 7 Punkten.


Einschränkend muss bei dem Vergleich der Leistungen im Bereich des kurz- bzw. mittelfristigen Behaltens festgestellt werden, dass am Test zum mittelfristi­gen Behalten lediglich 9 Probanden teilnahmen (statt 22 am Test zum kurzfristi­gen und 19 am Test zum langfristigen Behalten).


Die durchschnittliche Behaltensleistung war bei dem Test zum langfristigen Behalten am geringsten (Ø 6,9 Punkte bzw. 64 %). 
 

Die Minimal- und Maximalwerte waren bei dem Test zum langfristigen Behalten (Maximum: 10 Punkte, Minimum: 4 Punkte) ähnlich verteilt wie bei dem Test zum kurzfristigen Behalten (Maximum: 10 Punkte, Minimum: 3 Punkte).


2.2 Ergebnisse des zweiten Untersuchungsdurchgangs: Gruppe Vokabellernen vom Blatt (Papierform)


Kurzfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


18
7,4
10,0
4,0
Mittelfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


7
8,1
10,0
2,0
Langfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


10
6,9
10,0
1,0
Leistungen in relativen Werten:
Kurzfristiges Behalten:
Mittelfristiges Behalten:
Langfristiges Behalten:


74,22 %
81,42 %
69,0 %
Tab 3: Ergebnisse des zweiten Untersuchungsdurchgangs – Gruppe Vokabellernen vom Blatt (Papierform)
Die Leistungen im Bereich des langfristigen Behaltens waren erneut (wie im er­sten Durchgang) am geringsten (Ø 6,9 Punkte bzw. 69,0 %). Die Leistungen im Bereich des mittelfristigen Behaltens lagen (mit Ø 8,1 Punkten bzw. 81,42 %) knapp über den Leistungen im Bereich des kurzfristigen Behaltens (Ø 7,4 Punkte bzw. 74,22 %). 
 
Die Anzahl der Probanden lag in den Bereichen des mittel- und langfristigen Behaltens (mit 7 bzw. 10) deutlich unter der Zahl der Probanden im Bereich des kurzfristigen Behaltens (18 Probanden). Die von den Probanden erreichten Maximalwerte lagen in allen Behaltensbereichen bei 10 Punkten.
Die Minimalwerte lagen bei 4 Punkten (kurzfristiges Behalten), 2 Punkten (mit­telfristiges Behalten) und lediglich einem Punkt für das langfristige Behalten. 
 
Im ersten Durchgang hatten die Minimalwerte bei 3 Punkten (kurzfristiges Be­halten), 7 Punkten (mittelfristiges Behalten) und 4 Punkten (langfristiges Be­halten gelegen.

2.3 Ergebnisse des ersten Untersuchungsdurchgangs: Gruppe Vokabellernen am Computer (ohne Animation)


Kurzfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


28
8,3
10,0
3,0
Mittelfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


17
8,6
10,0
4,0
Langfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:


8
8,1
10,0
3,0
Leistungen in relativen Werten:
Kurzfristiges Behalten:
Mittelfristiges Behalten:
Langfristiges Behalten:


83,57 %
86,47 %
80,59 %
Tab. 4: Ergebnisse des ersten Untersuchungsdurchgangs – Gruppe Vokabellernen am Computer (ohne Animation)

Die durchschnittlichen Behaltensleistungen der Probanden waren in allen drei Testgruppen (kurzfristiges Behalten: 83,57 %; mittelfristiges Behalten 86,47 %; langfristiges Behalten 80,59 %) vergleichbar hoch. Gleichwohl war die Be­haltensleistung der Probanden auch in dieser Testkonstellation (Computer: ohne Animation) im Bereich des langfristigen Behaltens am geringsten.


In der Beurteilung der Daten muss einschränkend festgestellt werden, dass die Probandenzahl im Test zum mittelfristigen (17 Probanden) und langfristigen Behalten (8 Probanden) deutlich unter der Zahl der Probanden im Test zum kurzfristigen Behalten lag (28 Probanden).


Die von den Probanden erreichten Maximalwerte lagen in allen Behaltensbe­reichen bei 100 % (10 Punkten). Die Minimalwerte lagen bei 30 % (3 Punkten – kurzfristiges Behalten), 40 % (4 Punkten – mittelfristiges Behalten) und 30% (3 Punkten – langfristiges Behalten).


Die Behaltensquote lag in der Gruppe Vokabellernen am Computer (ohne Ani­mation) insgesamt (und in den einzelnen Teilleistungsbereichen – kurz-, mittel- und langfristig) höher als in der Gruppe Vokabellernen vom Blatt (Papierform) des zweiten Durchgangs. 
 

Im Vergleich zur Gruppe Vokabellernen vom Blatt (Papierform) des ersten Durchgangs lag die Behaltensleistung der Gruppe Vokabellernen am Computer (ohne Animation) lediglich im Bereich des langfristigen Behaltens höher. In den Bereichen des kurz- und mittelfristigen Behaltens lag die Behaltensleistung der Gruppe Vokabellernen vom Blatt (Papierform) über der der Gruppe Vokabel­lernen am Computer (ohne Animation).

2.4 Ergebnisse des zweiten Untersuchungsdurchgangs:  

      Gruppe Vokabellernen am Computer (mit Animation)


Kurzfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:

33
6,9
10,0
2,0
Mittelfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:

14
4,7
8,0
0,0
Langfristiges Behalten:
Anzahl der Probanden:
durchschnittliche Behaltensleistung (absolut, in Punkten):
höchster Wert:
niedrigster Wert:

23
4,8
8,0
1,0
Leistungen in relativen Werten:
Kurzfristiges Behalten:
Mittelfristiges Behalten:
Langfristiges Behalten:

69,39 %
47,14 %
47,83 %
Tab. 5: Ergebnisse des zweiten Untersuchungsdurchgangs – Gruppe Vokabellernen am Computer (mit Animation)

Die Behaltensleistungen der Probanden sind in den Bereichen des kurz-, mittel- und langfristigen Behaltens am niedrigsten im Vergleich zu allen anderen Pro­bandengruppen.

Die Leistungen im Bereich des langfristigen Behaltens sind ausschließlich in dieser Untersuchungskonstellation, nämlich Vokabellernen am Computer (mit Animation), höher – wenn auch nur geringfügig – als im Bereich des mittel­fristigen Behaltens.

Die Behaltensleistungen der Probanden sind in der Untersuchungskonstellation (Vokabellernen am Computer (mit Animation)) deutlich geringer als in der Kon­stellation Vokabellernen am Computer (mit Animation).

3 Fazit


Die Computeranimationen scheinen zu Inhibitionen des Behaltensprozesses zu führen.


Nimmt man die klassische Vokabelliste in Papierform (erster Untersuchungs­durchgang), so war diese im Gesamtkontext des Experiments am erfolg­reich­sten.


Im zweiten Durchgang war die klassische Vokabelliste in Papierform in den Be­reichen des kurz-, mittel- und langfristigen Behaltens dem Vokabellernen am Computer (ohne Animation) leicht unterlegen.


Eine insgesamt deutliche Verschlechterung bzw. Einschränkung der Lerneffi­zienz durch den Einsatz des Computers kann aufgrund unserer Ergebnisse nicht generell angenommen werden.


Lediglich animierte Computerpräsentationen scheinen zu schlechteren Behal­tensleistungen in den Bereichen des kurz-, mittel- und langfristigen Behaltens zu führen.


Insgesamt erscheint es im Kontext des Vokabellernens sinnvoll, auf animierte Computerpräsentationen zu verzichten. 
 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Untersuchungsitems (Vokabeln), die in gedruckter Form vorliegen, ein höheres Maß an Aufmerksamkeit und Fo­kussierung zu erfahren scheinen als ausschließlich am Bildschirm präsentierte Items.


Am Computermonitor gelesene Items werden bei einem geringeren Grad an Verarbeitungstiefe weniger gründlich rezipiert. Das Medium Computer scheint somit ein gewisses Maß an Flüchtigkeit der Informationsverarbeitung zu begün­stigen.


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